Das Bokken

 

Der Ursprung des Bokken 

 

Die Geschichte des japanischen Schwerts und die der Schwertkämpfer in diesem Land geht so weit zurück, dass niemand hoffen kann, an ihre Quellen zu stoßen. Berichte über das Schwert im Kampfe findet man sowohl im "Nihon Shoki" und im "Kojiki", zwei Annalen aus dem mythischen "Zeitalter der Götter" (Shindai), welches vor der schriftlich festgehalten Geschichte Japans datiert. In diesen frühesten Jahrhunderten wurden Schwerter denjenigen aus China nachgemacht, lange, gerade Säbel, welche hauptsächlich zum Schlagen gebraucht wurden. Später, als sich die Kriegskunst mehr zu einer eigenen Wissenschaft entwickelte, begann der japanische Krieger ein etwas kürzeres Schwert zu tragen, mit einer ausgeprägten Biegung in der Klinge und einem zweihändigen Griff. Dieses "tachi" genannte Schwert war am wirkungsvollsten in der Schlacht, wenn es von einem Reiter eingesetzt wurde, weil seine Länge und Biegung ausladende, geschwungene Hiebe erlaubte.

 

Der Gebrauch des Bokken wurde in der Schwertkunst erst in der Muromachi-Periode (1336-1600) eingeführt, als sich die Bedeutung des Schwerts vom Einsatz auf dem Schlachtfeld zum individuellen Zweikampf verlagerte. Diese Form des Einzelkampfes wurde besonders in den "ryu" (Schulen) gepflegt, einem organisierten System des Unterrichts in den Kampfkünsten, in diesem Zeitalter des langdauernden Bürgerkriegs, in welchem das Entstehen und die spätere Herrschaft des Berufskriegers in Japan, des Samurai, anzusiedeln ist. Sehr zugenommen hatte das Ansehen seiner Kampfkunst allgemein und im besonderen seiner Schwertkunst.

 

Zunächst hielten die Anwender des Fechthandwerks wenig von möglichem Unterricht. Fertigkeit erhielt man durch Erfahrung; diejenigen, die langsam lernten, lebten nicht lange genug, um ihre Fehler zu bedauern. Aber mit dem Aufkommen besser geschmiedeter Schwerter, als dann noch der Mann-gegen-Mann-Zweikampf den reiterüblichen Einsatz der Waffe ablöste, entwickelte sich sehr schnell die Technik des Fechtens. Unter dem Einfluss der Schulen wurden Kampfmethoden in Frage gestellt, untersucht, auf ihre Wirksamkeit hin eingeschätzt und schließlich in einer einem Lehrplan unterworfenen, geordneten Form gelehrt. Jede der zahlreichen Schulen entwickelte darin verschiedene Wege; eine Notwendigkeit aber hatten alle gemein. Alle benötigten ein Mittel, welches es dem angehenden Schwertkämpfer erlaubte, die Fechttechniken mit einem Mindestmaß an Sicherheit zu üben. Die Antwort auf dieses Problem war das Bokken.

 

Unzweifelhaft gab es schon vorher in Japan aus Holz nachgemachte Schwerter, aber mit dem Entstehen der Schulen formten Handwerker das Bokken, wie es heute noch, wenig verändert, existiert. Das Bokken bot einige Vorteile gegenüber der scharfen Klinge im Übungsbetrieb der Schul-Dojo. Neben dem offensichtlichen Maß an Sicherheit für die Übenden schonte es ebenso die Klingen der teuren Stahlschwerter. Das japanische "Katana" ist so geschmiedet, dass das Rückgrat seiner Klinge sehr belastbar ist und beträchtliche Anforderungen durch Schläge und Stöße aufnehmen kann, auch wenn es eine spröde, äußerst scharfe Schneide besitzt, welche ihm große Schnittkraft verleiht. Diese Verbindungen von hart und weich ergibt eine tödliche Klinge, welche aber ebenso leicht beschädigt werden konnte, wenn Sie mit einem anderen harten Gegenstand in rauhe Berührung kam. Oft wurden Katana im Kampf gekerbt oder zerbrachen gar. Um deshalb eine Beschädigung der teuren Klinge zu vermeiden, erlaubte der Einsatz des Bokken dem Fechtneuling die Waffe mit einem Gegner in der Übungshalle zu kreuzen, ohne ernsthaften Schaden am Schwert zu riskieren.

 

In der Mitte des 16. Jahrhunderts beschäftigen sich in Japan über 900 Schulen mit der Schwertkunst (Kenjutsu), und von allen Übungswaffen war das Bokken das wichtigste. Und als sich die Schwertkunst immer weiter verfeinerte, ergab sich aus diesem Fortschritt eine weitergehende Anwendung des Bokken. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ein unternehmungsfreudiger Schwertkämpfer entdeckte, dass das Bokken nicht nur seine wichtige Bedeutung im Training besaß, sondern als hervorragende Waffe selbst einen praktischen Wert bewies. Geschichten über Schwertkämpfer und ihre Kunst, genannt Kenshi Kodan, sind voll von Beispielen, wo geübte Kämpfer sich Gegnern, mit Stahlwaffen ausgerüstet, stellten, mit nichts als dem Bokken in der Hand. Solche Geschichten erfüllten den Zuhörer gerne mit Bewunderung für einen derart tapferen Kämpfer. Für den geübten jedoch war der Unterschied zwischen dem Bokken und dem Shinken (Blankschwert) tatsächlich von geringer Art. Einige Kämpfer betrachteten die Holzwaffe gar als überlegen, besonders in einer lebenswichtigen Hinsicht. Um diese Denkart zu verstehen, muss man wissen, dass das japanische Schwert aus einer langen Klinge besteht mit einem Stil, welcher in den hölzernen Griff eingefügt und dort mit einem oder zwei dünnen Bolzen befestigt ist. Diese Bauart macht das Katana sicher, aber infolge der verhältnismäßig dünnen Stahlklinge und dem hohlen Griff, kann sich eine gegenseitige Verdrehung (Torsion) einstellen, besonders wenn das Schwert stark in eine Richtung geschwungen, dann verdreht und schnell in die entgegengesetzte Richtung geführt wird, eine in vielen Schulen angewandte Bewegung (genannt Kesa gake). Kesa gake beansprucht die Klinge und die Griff-Verbindung derart stark, dass diese Bewegung eine oder gar beide zum Zerspringen bringen kann, zu einem ganz und gar ungünstigen Zeitpunkt. Außerdem ist das japanische Klima überwiegend feuchtwarm, und auch mit der besten Sorgfalt kam es leicht vor, dass der hölzerne Griff langsam verrottete, und damit das Katana von innen heraus unsichtbar schwächte. Keiner dieser möglichen Ausfälle konnten beim soliden, aus einem Stück bestehenden Bokken festgestellt werden.

 

Man sollte jetzt nicht annehmen, dass das Bokken das Shinken als Lieblingswerkzeug des Schwertkämpfers im Kampfe ablöste, aber wie uns eine Anzahl berühmter Geschichten vermitteln, wurde das Bokken oft mit außergewöhnlichen Erfolg bei Auseinandersetzungen auf Leben und Tod eingesetzt. Die vielleicht bekannteste diesbezügliche Begegnung, in welcher ein Bokken (Suburito) eingesetzt wurde, war die von Miyamoto Musashi, der mit Sasaki Kojiro auf einer kleinen Sandinsel in der Mitte der Kanmon-See-Straße, in Südjapan, kämpfte und gewann.

 

Die Volkserzählung von Musashi und Sasaki Kojiro ist berühmt; es gibt wenige aus der Budoszene, die nicht mindestens ein halbes Duzent verschiedener Ausführungen gelesen, gehört oder gesehen hätten. Es ist dabei gar nicht so wichtig, ob das ganze Ereignis überhaupt je stattgefunden hat oder dass die Person Sasaki Kojiro nie historisch belegt wurde. Es ist eine dramatische, aufregende Geschichte, behütet von denjenigen mit Interesse an den Kampfkünsten des alten Japans. Viel wichtiger jedoch aus der Sicht des Budoka ist die Veranschaulichung, welch hoher Rang dem Holzschwert als Kampfwaffe beigemessen wurde. Auch wenn diese Geschichte von Musashis Sieg über Sasaki nicht mehr ist als eben eine Legende, ihr Zeugnis von der Bedeutung des Bokken für den feudalen Krieger, auch in anderen historisch bedeutsamen Erzählungen, vermittelt uns über den Gebrauch des Bokken im Zweikampf.